Ruhe auf den hinteren Rängen! Die EU verhandelt Handelsverträge

Im Gefolge der Aufforderungen nach Offenheit und Beteiligung der Öffentlichkeit bewirbt die EU-Kommission nunmehr ihre Handelsvertragsverhandlungen als transparent und die Öffentlichkeit einschliessend. Wesentliche Informationen über die EU-Handelsverträge werden den Bürgerinnen und Bürgern aber weiterhin vorenthalten. Sogar Regierungsmitglieder von Mitgliedstaaten beklagen sich regelmässig darüber, im Dunkeln gelassen zu werden. Zur selben Zeit geben die Multis und deren Verbände in den EU-Handels-Gesprächen weiterhin den Ton an.

Im Januar 2018, sagte die EU-Handels-Kommissarin Cecilia Malmström Journalisten, dass “Transparenz wesentlich ist, um Bürgerinnen und Bürger über unsere Handelspolitik zu informieren und um Vertrauen in unser Tun aufzubauen”. Im Mai 2017 äusserte sie ähnliches: “Ich engagiere mich dafür, in diesen wie in allen unseren Verhandlungen Transparenz und Partizipation herzustellen,” sagte Malmström.

Mit Blick auf den EU-Japan-Handelsvertrag (JEFTA), der bald ratifizierte werden soll, versicherte die Kommissarin: „Berichte über alle neuesten Verhandlungsrunden mit Japan sind auf unserer Webseite zugänglich, ebenso wie unseren neuesten Verhandlungsvorschläge ” Diese Behauptung ist leider falsch. Der EU-Chefunterhändler für den EU-Japan-Handelsvertrag war im Juni und im Oktober 2017 in Tokyo, obwohl die letzte Runde der Verhandlungen offiziell bereits abgeschlossen war. Informationen über diese zusätzlichen Besuche findet man nirgends auf der Webseite der EU-Kommission. So weit zu Zusagen und Versprechen der EU-Kommissarin.

Selbst Mitgliedstaaten müssen stillsitzen, wenn die EU verhandelt

Gemäss internen Dokument der EU, die von CEO (Corporate Europe Observatory) eingesehen werden konnten, beklagen sich selbst Regierungen der Mitgliedstaaten über die Nicht-Informations-Politik der EU-Kommission bezüglich laufender Handelsvertrags-Verhandlungen. Diese Nicht-Informationspolitik scheint besonders strikt zu sein, wenn die Verhandlungen dem Ende entgegen gehen, wie z.B. die Mercosur-Verhandlungen zeigen, welche im Augenblick zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay am Laufen sind. Am 17. November 2017, in einem Treffen zum Thema Handel zwischen Mitgliedstaaten und der EU-Kommission, „verlangte eine grosse Mehrheit der Staaten, die sich zu Worte meldeten, von der Kommission den Zugang zu Dokumenten und genügend Zeit, um diese eingehend zu lesen”.

Einen Monat zuvor hatte sich Frankreich beklagt, von der EU-Kommission nicht genügend über die Mercosur-Verhandlungen informiert worden zu sein, und Spanien hatte verlangt, den Entwurf des vorgeschlagenen Abkommens überprüfen zu können, um die Fortschritte einschätzen zu können. Mit anderen Worten: in diesem Stadium wussten die EU-Mitgliedstaaten nicht, was die EU-Kommission in ihrem Namen verhandelte, nicht einmal bezüglich den kontroversen Marktöffnungen im Agrarbereich, welche die Bauern und die Konsumenten EU-weit beunruhigt hatten.

Die Geheimnistuerei der EU-Kommission scheint so strikt zu sein, dass die französische Regierung sich neulich genötigt sah, sie an die Wichtigkeit zeitgerechter Konsultationen der Mitgliedstaaten in allen Stadien der Vertrags-Verhandlungen zu erinnern, besonders aber während der Schlussphase. Es scheint als betrachte die Kommission die Mitglied-Staaten während den Verhandlungen nicht als wichtige Aktoren.

Multis bestimmen immer noch die Zielvorgaben von Verhandlungen

Die Teilnahme welcher Aktoren möchte die EU-Kommission dann bei Handelsvertrags-Verhandlungen sehen? Im Dezember 2017 betonte sie die Wichtigkeit der Berücksichtigung “der Perspektiven und des Wissens einer weiten und ausgewogenen Gruppe von betroffenen Aktoren (stakeholders): Gewerkschaften, Angestelltenverbänden, Konsumentengruppierungen und anderen Nicht-Regierungs-Organisationen”. Ein näherer Blick auf die faktischen Verhältnisse zeichnet allerdings ein anderes Bild. Die einflussreichen Beteiligten sind nämlich die Multis und deren Verbände. Diese sind nicht nur einflussreich, sondern sind auch privilegiert – mit einem speziellen Zugang zu den EU-Unterhändlern in den Vertragsverhandlungen.

Betrachten wir, um dies zu beleuchten, nochmals den EU-Japan-Handelsvertrag: zwischen dem 10. Januar 2014 und dem 12 Januar 2017 führten EU-Unterhändler 213 externe Treffen mit Lobbyisten durch, um die Details der Vereinbarung zu diskutieren. 89% dieser Lobbyisten repräsentierten Multis. Kein einziges dieser 213 Treffen fand mit Vertretern von Gewerkschaften oder mit einer Vereinigung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) statt. Bei Fragen nach neueren Zahlen über Lobbyisten-Treffen während der kritischen Endphase der Verhandlungen im Jahr 2017 verweigerte die EU die Angabe der Anzahl Lobbyisten-Treffen, die in dieser Zeit stattfanden, mit dem Hinweis, die Unterhändler bräuchten alle verfügbaren Ressourcen um die Verhandlungen mit Japan abzuschliessen. Offenbar war es zu aufwendig, die zu intensiven Kontakte der Lobbyisten-Gruppen mit der EU-Kommission aufzulisten. Mit anderen Worten, die Information der Öffentlichkeit wird als unwesentliche Nettigkeit betrachtet, wenn die Kommission nicht gerade zu beschäftigt ist.

Die bisherigen Ausführungen betreffen nur die Treffen im Rahmen des EU-Japan-Vertragsverhandlungen, die in einem offiziellen Rahmen stattfanden. Hinter der Bühne wurden Vertreter der japanischen Geschäftswelt in der EU zu informellen Geschäftsessen eingeladen, wo sie sich dann mit EU-Parlamentariern aller Parteien und Vertretern der EU-Kommission austauschen konnten. Solche inoffizielle Treffen wurden etwa von der Kommunikations-Agentur GPLUS (http://gpluseurope.com/) im Auftrag von Kunden, den Multis, organisiert.

Ein einflussreicher Aktor der Multis ist der „EU-Japan Business Round Table“ (https://www.eu-japan-brt.eu/), ein Verein von Managern führender europäischer und japanischer Unternehmen, inklusive Airbus, Mitsubishi, Bayer, BNP Paribas, Nissan, Sony, Ikea, Volkswagen. Sie hielten jährliche Treffen mit hochgestellten Entscheidungsträgern in der EU und Japans ab. Als wir von der CEO zusätzlich Informationen über die Interaktionen zwischen dem „Round Table“ und den EU-Vertretern im Juli 2017 anforderten, antworte die EU-Kommission nicht: Privilegierter Zugang auf der einen Seite und Geheimniskrämerei auf der anderen ist ihre Devise.

Im April 2015, verkündete die EU-Kommission den Multi-Chefs, dass “die europäische Industrie regelmässig über die Entwicklungen der Verhandlungen mittels einer Vielzahl von Dialogen auf dem Laufenden hält (Treffen mit Business Europa (https://www.businesseurope.eu), sektoriellen Treffen mit Industrievertretern, allgemeinen Treffen mit der Zivilgesellschaft, zu denen die Industrie ebenfalls eingeladen ist). Zudem haben wir viele bilaterale Treffen mit Industrieverbänden und interessierten Unternehmungen, und wir sind für Anregungen immer offen“. Für die Multis und deren Verbände ist die EU-Kommission offenbar nie zu beschäftigt.

Es ist also kein Wunder, dass die Multis das JEFTA-Abkommen begrüssen, insbesondere das den Multis gewährte Privileg, am selben Tisch wie die Aufsichtsbehörden zu sitzen, um gemeinsame Standards zu definieren.

Bleibt ruhig, Bürger – wir verhandeln!

Während die EU in engster Zusammenarbeit mit den Multis und deren Verbände Verhandlungen führt, ist es für Bürger beinahe unmöglich, den Verhandlungsprozess zu verfolgen, ganz zu Schweigen davon, die Details zu kontrollieren.

Bezüglich des EU-Japan-Vertrags sind zwar manche Dokumente auf der Webseite der Kommission zugänglich, die kontroversesten Papier sind aber nicht auffindbar. Es gibt z.B. keine Informationen über die weiterlaufenden Verhandlungen über Investitionsregeln zwischen der EU und Japan. Zudem beinhalten die Dokumente, welche die Kommission auf ihre Webseite publiziert, gewöhnlich die Verhandlungsvorschläge der EU-Kommission – es sind die Papiere, welche die EU in die Verhandlungen einbringt. Die Dokumente, die aus den Verhandlungen resultieren, werden selten der Öffentlichkeit präsentiert.

Im Falle des EU-Mercosur Verhandlungen findet man z.B. leicht die EU-Vorschläge zu gewissen Kapiteln des Vertrags auf dem Netz. Nur dank der Organisation bilaterals.org (www.bilaterals.org) hat die Öffentlichkeit aber Zugang zum aktuellen Verhandlungstext und kann Einblick nehmen in die kontroversen Kapitel - Sicherheit von Nahrungsmitteln, Tier- und Pflanzen-Gesundheits-Regulierungen, in Kürze aufzunehmende Themen. Es handelt sich um sehr wichtige Teile des Vertragstextes, da sie die Pläne der EU aufdecken, mit den weltweit grössten Produzenten von genetisch veränderten Nahrungsmitteln zusammenzuarbeiten (GMOs). Überflüssig zu erwähnen, dass die entsprechenden Texte auf der Webseite der Kommission nicht zur Verfügung stehen. Wenig erstaunlich spielt das sehr unpopuläre Wort “Biotechnologie” in den öffentlich zugänglichen Informationen der Kommission keine Rolle. Gespräche zu heiklen Themen finden auch auf der Basis der CETA, dem Handelsvertrag zwischen der EU und Kanada, statt. Auf die Anfrage nach mehr Informationen über diesen bilateralen Austausch zu Energie, Finanzen, öffentlichem Gesundheitswesen, usw., veröffentlichte die Kommission nur 3 von 23 angeforderten Dokumenten. Die Öffentlichkeit wird nur als Zuhörerschaft betrachtet, dazu bestimmt, wahrzunehmen, was die Kommission bereits ausgebrütet und als gut befunden hat. Es ist schwierig nicht zur Schlussfolgerung zu gelangen, dass die Bürgerinnen und Bürger schlecht informiert werden oder gar teilweise über die EU-Handels-Verträge fehlgeleitet werden. Dies ist besonders beunruhigend im Lichte der grösseren Vertragsabschlüsse, welche die Kommission in den letzten Jahren entweder abgeschlossen hat (Singapur, Vietnam) oder dabei ist auszuhandeln (Mercosur, Mexico).

Geheimverhandlungen, vor den Augen der Öffentlichkeit geschützt, sollten der Vergangenheit angehören. Im Drehbuch der Kommission werden die üblichen Verdächtigen, die Vertreter der Multis, immer wieder für wesentliche Rollen vorgesehen. Den Organisationen der Zivilgesellschaft werden Nebenrollen zugewiesen, wenn überhaupt. Die EU-Handelsverträge beeinflussen alles in unseren täglichen Leben: z.B. Lebensmittel, Massnahmen bezüglich Energiewende und Klimawandel, sozialstaatliche Regelungen und das Finanzsystem, das wir in Krisenzeiten mit Steuergeldern retten dürfen. Diese Verträge werden aber in Hinterzimmern ausgehandelt, ausserhalb der Reichweite von Bürgerinnen und Bürgen, und nicht auf der sichtbaren Bühne unter öffentlicher Aufsicht, wie die EU-Kommission uns in Sonntagsreden gerne weismacht.

Übersetzung: Europa Magazin, https://europa-magazin.ch/.3bb68d0a/cmd.14/audience.D

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