Bolkestein kehrt zurück: Die EU-Kommission greift nach der Macht über Dienstleistungen
Die neun wichtigsten Fragen und Antworten dazu, wie die EU-Kommission, lokale Entscheidungen aushebeln will
Die EU-Institutionen verhandeln derzeit über neue Regen für den Binnenmarkt. Doch diese hätten hochproblematische Auswirkungen auf die Entscheidungsmacht von Parlamenten, Landtagen und Gemeinderäten in ganz Europa. Denn die Kommission schlägt vor, die bereits existierende Dienstleistungsrichtlinie – auch bekannt als Bolkestein-Richtlinie – auf eine neue und äußerst einschränkende Weise durchzusetzen. Kurz gesagt: Die Kommission will das Recht, neue Gesetze und Regulierungen für Dienstleistungen in den Mitgliedsstaaten zu genehmigen oder abzulehnen. Erfasst wären viele Bereiche wie die Raumordnung (Stadtplanung), Wohnen, Energie- und Wasserversorgung, Abfallwirtschaft und mehr.
Doch der Widerstand gegen den Vorschlag der Kommission wächst rasant. Insbesondere Gemeinderäte äußern sich dagegen, da sie nicht ausreichend informiert wurden und der Vorschlag ihre Handlungsfähigkeit stark einzuschränken droht. Nun stellen viele von ihnen fest, dass selbst Städte und Gemeinden zukünftig die Erlaubnis der Kommission einholen müssen, bevor sie Maßnahmen im Zusammenhang mit Dienstleistungen ergreifen. In Amsterdam verabschiedete der Gemeinderat daher eine einstimmige Resolution, laut derer der Vorschlag „die Autonomie der lokalen Behörden beeinträchtigt und damit eine Bedrohung für die lokale Demokratie darstellt“. Diese starke Botschaft für den Erhalt lokaler Gestaltungsspielräume findet Resonanz in Städten in ganz Europa. Eine öffentliche Erklärung gegen den Vorschlag wurde in kürzester Zeit von 75 europäischen Organisationen, darunter NGOs, soziale Bewegungen und politische Parteien, unterzeichnet – und es werden täglich mehr.
Worum geht es bei dem ganzen Wirbel? Corporate Europe Observatory hat eine Liste der wichtigsten Fragen und Antworten zu den Plänen zusammengestellt (übersetzung durch Attac Österreich).
Wie plant die Kommission, Entscheidungen in den Mitgliedstaaten zu stoppen oder zu ändern?
Beim Vorschlag geht es um „Notifizierung“, also die Bekanntmachung neuer Maßnahmen gegenüber der Kommission. Das klingt ziemlich harmlos. Aber so einfach ist es nicht.
Mitgliedsstaaten müssen schon bisher die EU-Kommission informieren, wenn sie Regulierungen in einem Bereich verabschieden, der unter die Dienstleistungsrichtlinie fällt. Diese Bekanntmachung kann nach dem Beschluss oder Inkrafttreten einer Maßnahme geschehen. Die Kommission prüft dann, ob alle Vorschriften der Dienstleistungsrichtlinie eingehalten wurden. Ist sie der Ansicht das wäre nicht der Fall, so sucht sie das Gespräch und eine Lösung mit dem betreffenden Mitgliedstaat.
Dieses Verfahren gibt es, seit die Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2006 erstmals beschlossen wurde. Doch seit damals beschweren sich zahlreiche Konzernlobbies und die Kommission selbst über diesen angeblich ineffizienten und langsamen Ansatz.
In Anlehnung an einen Vorschlag von BusinessEurope und nach umfangreichem Lobbying verschiedener Branchen schlägt die Kommission nun ein neues und wesentlich stärker eingreifendes Verfahren vor. Nach dem neuen Vorschlag wären Behörden – seien es Gemeinden oder Ministerien – verpflichtet, die Kommission bereits drei Monate vor dem Beschluss einer neuen Regelung zu informieren. Damit erhielte die Kommission die Möglichkeit, Gesetzestexte im Voraus zu prüfen. Ist sie der Meinung, dass etwas der Dienstleistungsrichtlinie widerspricht, kann sie eine „Warnung“ aussprechen und ermitteln, welche Änderungen für eine Genehmigung nötig sind.
Wird in Folge die Einschätzung der Kommission – die von der vollständigen Ablehnung bis hin zu kleinen Änderungen reichen kann – nicht berücksichtigt und der Gemeinderat oder das Parlament beschließen das Gesetz trotzdem, so kann die Kommission den „betreffenden Mitgliedstaat auffordern, sie aufzuheben” (Artikel 7).
Praktisch befähigt das die Kommission, in einer Vielzahl zentraler Politikbereichen gewählte VertreterInnen auf alarmierende Weise zu überstimmen. Darüber hinaus wird die Entscheidungsfindung in Gemeinden und Landesbehörden grundlegend verändert, und damit den Grundsatz und die Praxis lokaler Demokratie in der EU untergraben.
Was bedeutet das in der Praxis? Ist es wirklich so schlimm?
Bevor wir uns weiter mit der Rechtsgrundlage – der Dienstleistungsrichtlinie – befassen ist es sinnvoll, sich anhand einiger konkreter Beispiele ein Bild zu machen, worum es geht.
- Als sich Amsterdam gegen den Vorschlag der Kommission aussprach, verwies Stadtrat Tiers Bakker auf Versuche der Stadt, AirBnB zu regulieren. Lange Zeit genoss AirBnB in Amsterdam sehr flexible Regeln. Doch durch seine immer stärkere Verbreitung wurde der Zugang zu leistbaren Wohnungen eingeschränkt und in wichtigen Stadtteilen veränderten sich Atmosphäre und Umgebung. Der Stadtrat schritt ein und erfüllte die Forderungen der BewohnerInnen von Amsterdam. Er verabschiedete strengeren Regeln für AirBnB und stellte dann fest, dass dies ein Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie sein könnte. Nach dem neuen Vorschlag müsste Amsterdam die Kommission vorab um die Erlaubnis bitten, solche Vorschriften einführen zu dürfen.
- Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs fallen Raum- und Stadtplanung unter die Dienstleistungsrichtlinie. Der Bereich der Stadtplanung kann etwa politische Entscheidungen darüber beinhalten, wo die Behörden in einer Stadt Geschäfte ansiedeln und wo nicht, sowie Regelungen bezüglich der Größe von Geschäften. Einige Städte wollen vielleicht keine riesigen Supermärkte, um das Überleben kleiner Läden zu sichern. Da dies jedoch durch die Dienstleistungsrichtlinie abgedeckt ist, müssten auch hier Entscheidungen an die EU-Kommission gemeldet werden. Die EU-Institution hätte somit das letzte Wort – vielleicht nicht bei jeder einzelnen Planungsentscheidung, aber sie könnte umfassende und langfristige Pläne für die Stadtentwicklung blockieren oder ablehnen.
- Die Richtlinie betrifft auch Arbeitsrechte. Als die Dienstleistungsrichtlinie vor über zehn Jahren erstmals vorgeschlagen wurde, gab es bereits einen Aufschrei. Sie ermöglicht es Dienstleistungsunternehmen, in der gesamten EU tätig zu sein und dabei nur die Regulierungen und Vorschriften ihres Herkunftslandes einzuhalten. Nach Einschätzung der Gewerkschaften führt dies unweigerlich zu Sozialdumping, da Unternehmen aus Niedriglohnländern ihre ArbeiterInnen einfach in Hochlohnländer entsenden und ihnen dort nur einen Bruchteil des üblichen Lohns zahlen können. Nach massiven Protesten in der gesamten EU wurde das Arbeitsrecht schließlich von der Richtlinie ausgenommen. Trotzdem sind Regelungen nicht zulässig, die die Einhaltung lokaler Kollektivverträge oder Gesetze durch Dienstleistungsunternehmen überwachen. Vor kurzem erst beschwerte sich die Kommission über Vorschriften in Dänemark, dank derer Behörden und Gewerkschaften mögliche Verstöße gegen Kollektivverträge und das Arbeitsrecht erkennen können.
- Die Dienstleistungsrichtlinie betrifft sogar die Nutzung natürlicher Ressourcen. Im Jahr 2015 entschied die EFTA-Überwachungsbehörde, dass ein isländisches Gesetz über die Nutzung von Geothermie und Grundwasser gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, da es privaten ausländischen Betreibern den Zugang zu diesen Ressourcen erschwert. Das Gesetz versucht dem Problem entgegenzuwirken, dass private Unternehmen oft einen kurzfristigen Ansatz für die Nutzung geothermischer Ressourcen verfolgen, der das langfristige öffentliche Interesse nicht berücksichtigt. Dennoch wird es als Verstoß gegen das europäische Recht angesehen.
Welche Bereiche fallen unter dieses Verfahren und damit unter die Dienstleistungsrichtlinie?
Alle Entscheidungen, die unter die Dienstleistungsrichtlinie von 2006 fallen, können nach dem neuen Vorschlag von der Kommission abgelehnt werden. Zentrales Problem dabei: Die Dienstleistungsrichtlinie deckt ein breites Spektrum von Politikbereichen ab.
Als die Dienstleistungsrichtlinie 2004 geplant wurde, ging es anfangs tatsächlich nur um Dienstleistungen. Die Bolkestein-Richtlinie – benannt nach ihrem Verfasser, EU-Kommissar Frits Bolkestein – sollte alles liberalisieren, was man verkaufen aber nicht angreifen kann. Dies stieß jedoch auf heftigen Widerstand und über 100.000 Menschen gingen in verschiedenen Ländern dagegen auf die Straße. In Folge wurden einige Bereich aus der Richtlinie ausgenommen und ihre Auswirkungen verringert.
Doch auch in ihrer reduzierten Form betrifft die Richtlinie ein weites Feld von Themen und Politikbereichen. Dazu gehören: Bildung, Buchhaltung, juristische Dienste, Beratung, Architektur, Wasserversorgung, Abfallwirtschaft, Werbung, Postdienste, Strom- und Gasversorgung, Einzelhandel und viele andere Sektoren.
Tatsächlich ist es einfacher zu verstehen, welche Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen: nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (also öffentliche Dienstleistungen, für die BürgerInnen nichts bezahlen), Finanzdienstleistungen, Gesundheitsleistungen, Glücksspiel, elektronische Kommunikation, audiovisuelle Dienste (TV und Radio), private Sicherheitsdienste, Transport, Zeitarbeitsfirmen sowie NotarInnen und GerichtsvollzieherInnen. Es besteht auch eine Ausnahme für soziale Dienste, doch ergänzende Sozialversicherungssysteme sind abgedeckt.
Was ist durch die Dienstleistungsrichtlinie verboten?
Die Dienstleistungsrichtlinie ist im Wesentlichen eine Liste von Maßnahmen, Anforderungen und Regulierungen, die Mitgliedstaaten für Dienstleistungen nicht festlegen dürfen.
Die Richtlinie besteht aus drei Listen. Die ersten beiden Listen betreffen alle Sektoren, die nicht von der Richtlinie ausgenommen sind. Die dritte und umfassendste Liste betrifft alle Dienstleistungen außer einiger weniger, die im Text explizit genannt werden.
Die erste Liste beschränkt die Einführung von Genehmigungssystemen, verbietet Wohnsitzbedingungen für EigentümerInnen und begrenzt die Regulierung der Anzahl von Unternehmen und den Umfang ihrer Tätigkeit in einem Sektor. Sie verbietet Pflichtbeiträge zu Versicherungen oder Garantiefonds (mit wenigen Ausnahmen). Außerdem verbietet sie Register für Dienstleistungsunternehmen, außer unter bestimmten Bedingungen.
Die zweite Liste verbietet Regulierungen für Dienstleistungsunternehmen bezüglich einer Mindestanzahl von MitarbeiterInnen, Höchst- oder Mindestpreisen, die Beschränkung ihrer Geschäfte in Bezug zur Bevölkerungszahl in einer Region, sowie Vorschriften, die ein Unternehmen mit einer bestimmten Rechtsform verpflichten.
Dieser zweiten Liste ist außerdem ein besonderes Verfahren beigefügt. Erlässt ein Mitgliedstaat Regulierungen in den oben genannten Bereichen, musste er dies bisher der EU-Kommission mitteilen. Die Kommission konnte dann den Mitgliedstaat dazu auffordern – jedoch nicht verlangen – die Maßnahmen fallen zu lassen oder aufzuheben, wenn sie sie für zu restriktiv und damit für einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie hält. Zentral dabei: Bisher waren die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, die EU-Kommission vor Erlass einer Maßnahme zu informieren.
Die dritte Liste in Artikel 16 der Dienstleistungsrichtlinie ist die weitreichendste. Sie legt fest, dass Firmen in der Erbringung von Dienstleistungen frei sein müssen und keine Regulierungen zulässig sind, außer diese diskriminieren nicht aufgrund von Nationalität, sind verhältnismäßig und „notwendig“. Was diese Bestimmung besonders hart und restriktiv macht, ist die Definition von „Notwendigkeit“. Diese ist nur „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Umweltschutzes“ gerechtfertigt. Die Formulierung schließt dutzende anderer legitimer Gründe für Regulierungen aus, wie etwa die Sicherstellung des Zugangs zu leistbarem Wohnraum, eines angemessenen Lebensstandards, des Schutzes der städtischen Umgebung und vieles mehr.
Bei der Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie 2006 war diese Bestimmung sehr umstritten. In Folge dessen wurden einige öffentliche Dienstleistungen ausdrücklich von diesem Abschnitt ausgenommen: Strom, Gas, Post, Wasserversorgung und Abfallwirtschaft.
Obwohl die beschriebenen Regelungen umfassend sind, ist noch nicht ganz klar, welche Folgen die Dienstleistungsrichtlinie für einen bestimmten Sektor hatte oder haben wird. Dies ist bei EU-Richtlinien sehr oft der Fall und die Umsetzung muss sorgfältig beobachtet werden, um die politischen Auswirkungen vollständig zu verstehen.
Ist eine Notifizierung, also die Bekanntgabe an die EU-Kommission, für die gesamte Richtlinie erforderlich, einschließlich des berüchtigten Artikels 16?
Ja. Die Mitgliedstaaten müssen die EU-Kommission über eine Vielzahl lokaler Vorschriften benachrichtigen, das gilt auch für die Maßnahmen unter Artikel 16.
Während der ersten Auseinandersetzung um die Bolkestein-Richtlinie richtete sich der Widerstand stark gegen Artikel 16, auf Grund des dort verankerten Herkunftslandprinzips. Dieser Grundsatz bedeutet im Wesentlichen, dass ein Dienstleister nur die Vorschriften seines Herkunftslandes befolgen muss – nicht jedoch jene anderer Mitgliedstaaten, in denen er tätig ist. Nach einer langen Auseinandersetzung wurde der Artikel geändert um einige Bedenken auszuräumen, aber er ist immer noch sehr weitreichend. Im Wesentlichen verbietet er Beschränkungen für Dienstleistungen aller Art – es sei denn, sie sind nachweislich notwendig um eine begrenzte Anzahl von Zielen zu erreichen.
Wie stark dies in politische Gestaltungsmöglichkeiten eingreift, hängt letztlich von der Auslegung der Regeln ab. Und mit dem neuen Vorschlag versucht die EU-Kommission eindeutig, sich das Recht zur Auslegung der Richtlinie zu holen um den Binnenmarkt zu vertiefen.
Aber versucht die Kommission nicht einfach, EU-Recht aufrechtzuerhalten?
Nein, so einfach ist es nicht. Wie aus den obigen Beschreibungen hervorgeht, ist die Dienstleistungsrichtlinie ein äußerst komplizierter Rechtsakt. Sie erfordert im konkreten Fall viele Bewertungen bevor entschieden wird, ob die Richtlinie eingehalten wurde. Zum Beispiel: Ist eine Maßnahme „verhältnismäßig“ oder nicht? Wird sie aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ erlassen? Dies sind teilweise sehr subjektive Fragen, deren Beantwortung eine umfassende Bewertung und eine klar strukturierte Begründung erfordern.
Die geplante Änderung des „Notifizierungsverfahrens“ gibt der Kommission das Vorrecht, solche Fragen konkret zu beantworten und dazu zu handeln. Während die Kommission laut der alten Regelung „gegebenenfalls“ die Ablehnung oder Aufhebung einer Maßnahme zu „fordern“, kann sie dies mit dem neuen Vorschlag nun vorab „verlangen“.
Was die Kommission vorschlägt, ist daher nicht die bloße Einhaltung und Durchsetzung von EU-Recht. Sondern sie schlägt vor, ihre eigene Auslegung des Rechts aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Und da es bei vielen der wichtigsten politischen Kämpfe in der EU um die Auslegung von Rechtsvorschriften geht, ist dies ein kühner Schritt – und ein deutlicher Griff der Kommission nach noch mehr Macht.
Darüber hinaus könnte man argumentieren, dass die Kommission mit der neuen Regelung ihr Mandat in zweierlei Hinsicht überschreitet:
- Die Dienstleistungsrichtlinie ist genau das: eine Richtlinie. Eine Richtlinie soll den Mitgliedstaaten Spielraum lassen, bestimmte Ziele auf ihre eigene Art und Weise zu erreichen. Das ist ein Unterschied zu Verordnungen, die klar darlegen, wie Dinge zu tun sind. Laut der Website der Kommission verlangen Richtlinien, „dass die EU-Länder ein bestimmtes Ergebnis erzielen; lassen ihnen aber die Wahl, wie sie dies tun“. Das neue Notifizierungsverfahren untergräbt jedoch die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten.
- Letztendlich ist es nicht Sache der EU-Kommission zu entscheiden, ob die Dienstleistungsrichtlinie eingehalten wurde oder nicht – das ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Die Kommission kann sich eine Meinung bilden, und sie kann einen Mitgliedstaat vor möglichen Verstößen warnen. Aber zu behaupten, sie verfüge über die endgültige Weisheit zur Auslegung der Richtlinie und dürfe daher gewählte Parlamente überstimmen, bedeutet eine Überschreitung des Mandats und der Rolle der Kommission.
Aber hey, wird das Europäische Parlament nicht energisch auf diesen Angriff auf die Demokratie reagieren?
Leider sieht es derzeit nicht so aus. Im Gegenteil: Der Binnenmarktausschuss (IMCO) des Europäischen Parlaments hat bereits eine Position formuliert, die bezüglich der Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung in Parlamenten, Landtagen oder Gemeinderäten unbesorgt scheint. Im Gegenteil: Das Europäische Parlament schlägt sogar vor, dass Unternehmen im Rahmen des Notifizierungsverfahrens Beiträge zur Bewertung der EU-Kommission leisten dürfen. Dies würde Unternehmen ermöglichen, Druck auf die EU-Kommission auszuüben um Regulierungen zu stoppen, wenn sie ihren Geschäftsinteressen zuwiderlaufen. Mit anderen Worten: das Europäische Parlament will eine weitere Möglichkeit für Konzernlobbying schaffen.
Können Kommunen und nationale Parlamente nicht argumentieren, dass sich die EU-Kommission hier illegal Macht aneignet und sich dafür auf das Subsidiaritätsprinzip berufen?
Ja und nein. Die nationalen Parlamente haben die Möglichkeit, mit einer so genannten „gelben Karte“ zu widersprechen. Damit erklären sie, dass die Kommission in einen Bereich eingreift, der auf nationaler oder lokaler Ebene, geregelt werden sollte. Und tatsächlich haben der österreichische Bundesrat, der italienische Senat, sowie beide Kammern des französischen und deutschen Parlaments bereits die gelbe Karte gehoben. Sie haben erklärt, dass der Vorschlag gegen das Subsidiaritätsprinzip der EU verstößt. Diese Stellungnahmen senden ein deutliches Signal an die Kommission. In der österreichischen Erklärung wird argumentiert, dass der Vorschlag „massiv in die Gesetzgebungshoheit der Mitgliedsstaaten eingreift“. Der deutsche Bundestag geht noch weiter und argumentiert, dass der Vorschlag gegen die EU-Verträge verstößt.
Nach den derzeitigen Regeln reichen jedoch starke Einwände verschiedener Parlamente in Österreich, Italien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden nicht aus, um den Vorschlag aufzuhalten oder Änderungen durchzusetzen. Um die Kommission zu zwingen, den Vorschlag überhaupt erneut zu prüfen, sind Einwände aus mindestens fünf weiteren Ländern erforderlich.
Wann wird die Entscheidung über den Vorschlag abgeschlossen sein?
Das könnte sehr bald sein. Der Vorschlag wurde 2016 vorgelegt und ist sehr weit gediehen. Derzeit verhandeln die Delegationen der Mitgliedstaaten (Rat) mit dem Europäischen Parlament über einen gemeinsamen Vorschlag. Der Verhandlungsvorsitz – die österreichische Regierung – strebt einen Abschluss der Verhandlungen an, bevor sie zu Jahresende den Ratsvorsitz an Rumänien übergibt. Danach bleiben nur noch zwei kleine Schritte, nämlich die Abstimmung im Europäischen Parlament und im Rat.
Es bleibt also nur wenig Zeit zum Handeln und die Pläne sind alarmierend. Der Vorschlag könnte lokale Demokratie, BürgerInnenbeteiligung und die Möglichkeit für Regulierungen im öffentlichen Interesse grundlegend beeinträchtigen. Handeln wir besser heute als morgen!
Übersetzung durch ATTAC-Österreich